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Ein Fall an der Schnittstelle zwischen Architekten- und Baurecht und dem Arbeitsrecht
Verletzungen auf der Baustelle. Wer haftet, wenn es ein Mitarbeiter einer anderen Firma war, die dort arbeitet.
Ein spannender Fall an der Schnittstelle zwischen dem Bau-und Architektenrecht und dem Arbeitsrecht – und gleichzeitig ein Klassiker.
Der Fall:
Auf einer großen Baustelle sind eine ganze Reihe von Firmen tätig, teilweise gleichzeitig und teilweise nacheinander. Zugange ist auch ein Rohbauer mit seinen Leuten und ein Zimmermann, der den Dachstuhl errichten soll. Außerdem gibt es noch einen Architekten, der nicht nur geplant, sondern der auch die Bauleitung innehat.
An einem nebligen März-Morgen des Jahres 2025 wollte ein Mitarbeiter des Rohbauers die Betonage einer zuvor errichteten Wand abschließen. Hierzu musste er an der Wand noch einige Betonreste abklopfen.
Gleichzeitig waren jedoch auch bereits die Zimmerleute auf der Baustelle tätig, die begannen, den Dachstuhl zu errichten. Die sahen zwar den Mitarbeiter des Rohbauers, wollten ihre Arbeit aber nicht unterbrechen. Stattdessen verwiesen sie ihn aus dem Bereich, indem sie die Balken schwenken wollten.
Der Mitarbeiter des Rohbauers ließ sich jedoch nicht verscheuchen, sondern werkelte munter weiter.
Der objektüberwachende Architekt war zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Baustelle.
Es kam , wie es kommen musste: Ein schwenkender Dachträger traf den Mitarbeiter des Rohbauers am Kopf und verletzte ihn schwer.
Der Mann war monatelang arbeitsunfähig. Sein Chef musste sechs Wochen Lohnfortzahlung leisten und die Krankenversicherung Abertausende für die medizinische Versorgung.
Der Rohbauer sah nicht ein, dass er auf den Kosten für die Lohnfortzahlung sitzen bleiben sollte, weil er die Mitarbeiter des Zimmerers für verantwortlich hielt. Das sah der Zimmerer anders und verweigerte die Erstattung.
Der Rohbauer klagte, der Zimmerer setzte sich zur Wehr und verkündete im Rahmen des Verfahrens den Streit an den Architekten, der die Objektüberwachung innehatte.
Seitenweise führten die Anwälte aus, weshalb – je nach Perspektive – der Mitarbeiter des Rohbauers oder die Mitarbeiter des Zimmerers oder aber der objektüberwachende Architekt verantwortlich sein sollte.
Wer hat Recht?
Die Entscheidung:
In der mündlichen Verhandlung machte das Gericht kurzen Prozess und erklärte, die umfangreichen Ausführungen zu den möglichen Pflichtverletzungen der verschiedenen Beteiligten würden das Gericht überhaupt nicht interessieren. Ohne jede Beweisaufnahme wies das Gericht die Klage ab mit einer interessanten Begründung. Es verwies auf eine nicht besonders bekannte Bestimmung des Sozialrechts, in der das sog. Haftungsprivileg geregelt ist, nämlich auf § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII i. V. m. §§ 104, 105 SGB VII.
Das in dem Paragraphensalat geregelte sog. Haftungsprivileg ist inhaltlich ganz einfach: Wenn betriebliche Tätigkeiten in einer gemeinsamen Betriebsstätte ausgeführt werden, dann haften die dort Tätigen einander nicht, wenn der eine den anderen bei der Arbeit verletzt, es sei denn, dass vorsätzlich gehandelt wurde.
Die rechtliche Frage bestand darin, ob die Tätigkeiten des Rohbauers und des Zimmerers auf der Baustelle eine „gemeinsame Betriebsstätte“ im Sinne des Gesetzes darstellten.
Wenn z.B. die LKW zweier Lieferanten an der Warenannahme eines Kaufhauses, das sie beliefern, zusammenstoßen, dann greift nach der Rechtsprechung die Haftungsprivilegierung nicht, obwohl beide ihre Arbeit an ein und derselben Stelle verrichten.
In unserem Fall hob das Gericht hingegen hervor, dass die Mitarbeiter aller Firmen, die an dem Unfall beteiligt waren, einschließlich des Architekten durch die Aufgabe planvoll verknüpft waren, um ein funktionsfähiges Bauwerk zu erstellen. Die Verknüpfung erfolgte rein praktisch dadurch, dass die Aufeinanderfolge der Arbeiten, die teilweise gleichzeitig am selben Ort stattfanden, eine enge Verbindung im Sinne des Gesetzes darstellte.
Das Gericht kam damit zu dem Schluss:
Zwar handelt es sich bei den Mitarbeitern, die am Unfall beteiligt waren, um Angestellte unterschiedlicher Unternehmen. Diese verrichteten aber vorübergehend eine betriebliche Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte – nämlich der Baustelle.
Deshalb hat das Gericht, ohne dass es darauf ankam, ob hier jemand fahrlässig gegen seine Pflichten verstoßen hat, die Klage abgewiesen.
Nicht entschieden wurde indes die Frage, ob auch die Krankenversicherung, die an dem Verfahren nicht beteiligt war, auf ihren Kosten sitzen bleibt.
Wir lernen: Arbeitet man zusammen auf einer Baustelle, gibt es keinen Schadensersatz bei wechselseitigen Verletzungen – außer bei Vorsatz.