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8.11.2021

Schule unter Generalverdacht – oder auf dem Weg zu einem Schulurheberrecht?

Anmerkung zum BGH-Urteil Uli-Stein-Cartoon vom 22.09.2021, Az. I ZR 83/20.

Dr. Steffen Albrecht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 22.09.2021, Az. I ZR 83/20, "Uli-Stein-Cartoon", grundlegend zu den Haftungsrisiken beim Betrieb von Schulhomepages entschieden. Die kontroverse Entscheidung ist nicht nur für die Schulverwaltung richtungsweisend. Auch Bibliotheken und Archive sollten die Entscheidung kennen. Sie könnte zu einem Verwaltungsurheberrecht führen.

Urheberrechtsverletzung auf einer Schulhomepage

Ein Lehrer stellte im Jahr 2006 ein Cartoon von Uli Stein auf die Startseite der von ihm betreuten Schulhomepage. Da er die Seite lediglich auflockern und illustrieren wollte, war die Nutzung nicht als Zitat zulässig. Der Beitrag wurde archiviert und geriet in Vergessenheit. Für Suchmaschinen blieb er aber weiterhin auffindbar.

Im Jahr 2018 wurde eine Agentur, die Cartoons von Uli Stein verwertet, auf die Urheberrechtsverletzung aufmerksam und ließ das Land, den Dienstherren des inzwischen pensionierten Lehrers abmahnen.

Der Beitrag wurde gelöscht. Der Rektor der Schule gab eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Akzeptiert wurde sie von der Agentur nicht.

Streit über die Rechtsfolgen

Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht (OLG) stritt man darüber,

  • ob die Agentur oder Uli Stein das einschlägige ausschließliche Nutzungsrecht innehat,
  • ob der Schulleiter die Unterlassungserklärung abgeben konnte,
  • ob sie auf die Schule beschränkt werden durfte und
  • wie der Schadensersatzanspruch zu bemessen ist.   

Die meisten Streitpunkte konnten geklärt werden.

Landesweite Wiederholungsgefahr?

Strittig blieb die Frage, ob die Urheberrechtsverletzung zu einer landesweiten Wiederholungsgefahr führte. Das OLG nahm an, dass die Wiederholungsgefahr auf die Schule beschränkt war, ließ aber die Revision zum BGH zu.

Die Reichweite der Wiederholungsgefahr ist von Bedeutung,

  • für die Frage, ob eine auf die Schule beschränkte Unterlassungserklärung den Unterlassungsanspruch beseitigt,
  • für den Gegenstandswert aus dem die Abmahnkosten errechnet werden und
  • ob die Vertragsstrafe verwirkt wird, sollte an einer anderen Schule oder Behörde des Landes nochmal das gleiche Cartoon rechtswidrig genutzt werden.

Die Antwort hat so allgemeine Auswirkungen auf die Haftungsrisiken, die dem Land durch Urheberrechtsverletzungen seiner Lehrkräfte entstehen.

Dezentrale Internetauftritte der Schulen im Land

In dem Land gibt es rund 4.500 Schulen deren Homepages häufig durch Lehrkräfte betreut werden. Die Internetseiten richten sich an die örtliche Schulgemeinschaft und werden vor Ort betrieben. Es gibt keine einheitlichen technischen oder inhaltlichen Vorgaben. Diese inhaltliche und technische Offenheit bietet Schülerinnen und Schülern zugleich Freiräume und Gelegenheit, sich neben dem Unterricht selbstständig mit digitalen Techniken vertraut zu machen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BGH entschied zunächst, dass die Regelung des § 99 UrhG, die das Land für Urheberrechtsverletzungen seiner Bediensteten haften lässt, nicht vorgebe, wie weit die Wiederholungsgefahr reicht.

(Rz. 37) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass sich aus dem Grundsatz der Haftung des Beklagten für an seinen Schulen begangene Urheberrechtsverletzungen nach § 99 UrhG nicht ergibt, dass die an einer Schule begangene Rechtsverletzung eine Wiederholungsgefahr für sämtliche Schulen begründet. § 99 UrhG besagt nichts dazu, wie weit ein Unterlassungsanspruch reicht.

Die Reichweite der Wiederholungsgefahr hänge von den konkreten Umständen der Verletzungshandlung ab. Der BGH zweifelte nicht an der Ansicht der Vorinstanzen, soweit diese eine Wiederholungsgefahr an anderen Behörden des Landes (z.B. Gerichte, Ministerien usw.) verneint hatten.

Der BGH verwarf aber die Annahme des OLG, die Wiederholungsgefahr sei auf die Schule beschränkt. Das OLG hatte seine Auffassung u.a. damit begründet, dass die Nutzung in einem konkreten Bezug zur Schule stehe und nicht etwa der Vermittlung von Schulstoff aus dem Lehrplan des Lande diene.

Die Annahme des OLG sah der BGH als erfahrungswidrig an. Da die Beachtung fremder Urheberrechte verwaltungstechnisch nicht sichergestellt sei, sei eine landesweite Wiederholungsgefahr anzunehmen:

(Rz. 39) Diese Annahme ist erfahrungswidrig. Wenn es - wie vom Berufungsgericht festgestellt
- zutrifft, dass es im Geschäftsbereich des Kultusministeriums des Beklagten an einheitlichen Rahmenbedingungen fehlt, so folgt daraus, dass die Beachtung fremder Urheberrechte bei der Gestaltung schulischer Internetauftritte im Geschäftsbereich des Kultusministeriums des Beklagten verwaltungstechnisch nicht sichergestellt ist. Dann aber schließt dieser Umstand nach der Lebenserfahrung nicht die Gefahr weiterer Verletzungshandlungen aus, sondern ist gerade aufgrund dieses Umstands mit weiteren Verletzungshandlungen an anderen Schulen zu rechnen.

Strukturelles Problem als Ursache einer landesweiten Haftung?

Warum das Fehlverhalten eines Lehrers an einer Schule die Gefahr einer wiederholten Urheberrechtsverletzung an anderen Schulen begründen sollte, erklärt der BGH nicht explizit.

In ersten Kommentaren wurde dem BGH prompt vorgeworfen, er begründe mit seiner Entscheidung eine Art "Sippenhaft" für alle Schulen des Landes. Aber kann eine Kollektivhaftung tatsächlich angenommen werden? Kann angenommen werden, der BGH stelle Lehrerinnen und Lehrer unter Generalverdacht?

Tatsächlich dürfte der BGH im vorliegenden Fall nicht nur das individuelle Fehlverhalten eines Lehrers gesehen haben. Der BGH verweist auf an anderen Schulen bekannt gewordene Verletzungen der Rechte Uli Steins und stellt auf das das Fehlen verwaltungstechnischer Sicherungsmaßnahmen ab. Dies lässt erahnen, dass der BGH den Fall eher als Symptom eines strukturellen Problems ansieht.

Solch ein Problem ist durchaus plausibel. Lehrkräfte können bei der Betreuung von Schulhomepages leicht in Situationen kommen, in denen legitim erscheinende Nutzungswünsche in Konflikt mit dem Urheberecht geraten. Dies müssen sie zunächst erkennen. Idealerweise sollten sie dann einen Weg finden, wie sich das eigentliche Ziel rechtskonform umsetzen lässt. Gelingt dies nicht, muss die Nutzung untersagt werden. Diese ist anspruchsvoll und setzt Expertise voraus.

Ließe das Land seine Lehrkräfte mit dieser Aufgabe alleine, erschiene es denkbar, dass sich Lehrkräfte primär an ihren Kolleginnen und Kollegen orientieren. Die Urheberrechtsverletzung an einer Schule könnte zu einem schlechten Vorbild werden und so von einer auf eine andere Schule „überspringen“.

Leider hat der BGH die Gelegenheit verpasst prüfen zu lassen, ob solch ein Defizit (noch) bestand. Der Umstand, dass es keine einheitlichen inhaltlichen und technischen Rahmenbedingungen für Schulhomepages gab (nur mit diesen "Rahmenbedingungen" hatte sich das OLG befasst) erlaubt nicht ohne Weiteres die Schlussfolgerung, es hätte im Bereich des Landes keine Maßnahmen zum Schutz fremder Urheberrechte gegeben.

Das Land hatte in den letzten Jahren – gerade auch als Reaktion auf Urheberrechtsverletzungen im schulischen Bereich – einschlägige Schulungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer auf- und ausgebaut. Dies hatte die Situation deutlich verbessert. Der vom BGH entschiedene entschiedene Fall war allerdings ein „Altfall“. Im Jahr 2006 existierten noch keine derartigen Angebote.

Auf dem Weg zu Richtlinien für die Betreuung von Schulhomepages, auf dem Weg zu einem Schulurheberrecht?

In seiner Entscheidung vermisst der BGH zudem die verwaltungstechnische Sicherstellung von fremden Urheberrechten. Der Begriff der „Verwaltungstechnik“ lässt eher an Dienstanweisungen denn an (freiwillige) Schulungsangebote denken.

Würde das Land nun einen Leitfaden für die Betreuung von Schulhomepages verfassen, der

  • allgemein und auch konkret anhand von einschlägigen Beispielen über das Urheberrecht und seine Schranken aufklärt,
  • über die relevante Wahrnehmungs- und Lizenzierungspraxis informiert,
  • Beispiele und „best practices“ enthält, wie Nutzungswünsche von Schülerinnen und Schülern urheberrechtskonform realisiert werden können und
  • ggf. qualifizierte Ansprechpartner des Landes für Rückfragen benennt,

wäre wohl auch im Sinne des BGH ein geeignetes und effektives Instrument vorhanden, das die Beachtung fremder Urheberrechte verwaltungstechnisch sicherstellen lässt. Es könnte dann nicht mehr ohne Weiteres angenommen werden, dass das Fehlverhalten eines Lehrers die Gefahr einer Wiederholung durch andere Lehrerinnen und Lehrer begründet.

Der Charme dieses Ansatzes liegt darin, dass sich so nicht nur der Schutz fremder Urheberrechte sicherstellen, sondern zugleich fördern und aufzeigen lässt, welche Mittel Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stehen. Dies würde dazu beitragen, dass Schüler kreative, technische und rechtliche Kompetenzen erwerben können.

Mit diesem Verständnis stellt die BGH-Entscheidung die Schulen sowie Lehrerinnen und Lehrer im Land nicht unter Generalverdacht, sondern weist den Weg hin zu einem Schulurheberrecht.

Auf dem Weg zu einem Urheberrecht der Verwaltung?

Der Entscheidung dürfte auch über den schulischen Bereich hinaus Bedeutung erlangen. An öffentlichen Gedächtnisinstitutionen (Bibliotheken, Archive usw.) sind ähnliche Situationen denkbar. Auch hier treffen Nutzungswünsche mitunter auf eine komplexe und dynamische Rechtsmaterie, die Einzelne überfordern kann.

Die öffentliche Verwaltung könnte und sollte prüfen, ob sie nicht nur hier, sondern auch in anderen komplexen und dynamischen Rechtsgebieten – etwa dem Datenschutzrecht – ihren Bediensteten konkrete Richtlinien zur Hand geben kann. Hierdurch lassen sich Haftungsrisiken tatsächlich – und nun auch rechtlich – reduzieren.

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